Neues Deutschand 24.01.
Am 24.01. belegten wir die komplette dritte Seite des "Neuen Deutschland". Hier der Text als Ziat:
Ein Palast, der die Hütte ergänzte
In Unterwellenborn ringen Bürger um den Erhalt eines DDR-Kulturhauses, doch der Besitzer sperrt sich
Der Kulturpalast Unterwellenborn ist ein wichtiges Zeugnis der DDR-Architektur. Eine örtliche Initiative hat Ideen für die Nutzung und sogar Geld für die Rettung – scheitert aber an den Besitzverhältnissen.
Hendrik Lasch
Torsten Ströher hat sich der Rettung des Bauwerks verschrieben.
Sonntags spielten im Café zur Unterhaltung die »Matadors«: gepflegte Schlager zu Kaffee und Kuchen. Die Gäste, erinnert sich Bassistin Elsa Rudolf, »kamen fein angezogen und frisiert«. Sie kamen ja auch nicht so ins Schwitzen wie beim Tanz, zu dem die Combo von der Leitung des Kulturpalastes Unterwellenborn sogar dreimal pro Woche angeheuert wurde. Da gab es vor der Pause stets Damenwahl. Und dann: ab ins Gebüsch. »Das Gelände«, sagt Rudolf verschmitzt, »war ja dafür wie gemacht.«
Lange ist’s her. Die Matador Combo hatte ihre große Zeit von 1965 bis 1975. Jetzt ist die Bassistin 80 Jahre alt, und der Palast, in dem sie für musikalische Unterhaltung sorgte, wird demnächst 65. Der Unterschied: Die Musikerin wirkt munter und fidel; der Kulturpalast dagegen gibt ein tristes Bild ab. Putz bröckelt, die Dachpappe ist löchrig, durchnässte Gipsdecken brechen herab, Parkett wölbt sich. Ein Trauerspiel, sagt Torsten Ströher, Chef eines Vereins, der den Bau retten will: »Es ist bereits zehn nach zwölf.« Wenn dieses Jahr nicht wenigstens die Dächer abgedichtet werden, war es das mit dem Kulturpalast von Unterwellenborn.
Auf den ersten Blick ist dem Kulturpalast der Verfall nicht anzusehen.
Unterwellenborn: das ist schönste thüringische Provinz. Auf langen Höhenzügen zwischen den Kleinstädten Saalfeld und Pößneck steht dicht der Wald; in den weiten Tälern ducken sich Dörfer voller Jahrhunderte alter, liebevoll erhaltener Fachwerkhäuser. Dazwischen, nicht unerwartet: gedrungene Kirchen, verspielte Schlösser. Und der Palast, der ahnungslose Reisende eher vor Rätsel stellen dürfte. Ein ausladender Bau mit antik anmutendem Portal: sechs weiße Säulen, im Giebel ein Flötenspieler, eine Schauspielerin mit Maske, ein Dichter mit Schriftrolle. Wie, so dürfte mancher fragen, kommt der hierher?!
Der Palast wurde gebaut zur Vervollkommnung einer Hütte: der Maxhütte, die als hochmodernes Stahlwerk noch heute in Betrieb ist und in der DDR zu den wichtigsten Industriebetrieben gehörte. Tausende arbeiteten dort an Hochöfen und Walzstraßen. Weil ihr Leben nicht nur aus Arbeit bestehen sollte, wurde ab 1952 der Palast errichtet; »binnen drei Jahren«, sagt Ströher: »eine enorme Leistung«. 1955 wurde eröffnet. Ströhers Oma war Hauptkassiererin; sein Vater, der in Schichten am Schmelzofen stand, half bei Reparaturen; Ströher durfte als junger Mann hinter der Bühne mitwirken – einmal gar bei einem Gastspiel der Spider Murphy Gang. Seine Augen leuchten noch 37 Jahre später: »Ein Höhepunkt«.
Von diesen gab es viele, sagt Reinhard Salzmann, letzter Leiter des Kulturpalastes. Internationale Bands und regionale Orchester traten auf; Operetten wurden aufgeführt; Singeklub und Ballett übten; Zirkel für Malerei und Fotografie trafen sich; von Feiern, Festen und Tanzabenden in Restaurant, Bierstube und Café ganz zu schweigen. »In dem Haus war an keinem einzigen Tag Ruhe«, sagt Salzmann. Bis zum Sommer 1990. Da lag die DDR in den letzten Zügen, die Westmark hielt Einzug, die Marktwirtschaft stand vor der Tür, und der Direktor des Stahlwerks, das bis dahin das für den Kulturbetrieb nötige Geld überwiesen hatte, sagte seinem Kulturhausleiter: »Nun müsst ihr euch selbst tragen.« Salzmann, der schon zuvor jährlich 1,2 Millionen Mark erwirtschaftet hatte, obwohl selbst Tickets für das westdeutsche Duo Cindy & Bert nur 18 Mark kosteten, tat sein Bestes; auch Möbelmessen fanden nun im Kulturpalast von Unterwellenborn statt.
Lange ging das ohne die Millionen von der Hütte freilich nicht gut. Salzmann kündigte. Später wurde der Palast verkauft: an einen Möbelhändler aus dem fränkischen Kronach, der auf Kongress- und Hotelbetrieb setzte. Einige Zimmer sollen auch eingerichtet worden sein; dann starb das Vorhaben; vielleicht auch, weil Zusagen von Behörden oder Politik nicht eingehalten wurden. »Ich will da keinen Stab brechen«, sagt Marko Wolfram, SPD-Landrat von Saalfeld-Rudolstadt. Fest steht aber: »Es ist ein schwerer Fall.«
Es ist auch ein fast tragischer Fall. Denn an zwei Dingen, deren Fehlen an manch anderem Ort zum Dahinsiechen von architektonischen Hinterlassenschaften der DDR beiträgt, mangelt es in Unterwellenborn nicht: an örtlichem Engagement – und an Geld. Ersteres bringt der Verein »Kulturpalast Unterwellenborn« e.V. auf, der 2013 gegründet wurde und dem Ströher seit einiger Zeit vorsteht. Die Mitglieder sind meist Menschen, deren Leben auf die eine oder andere Art mit dem Palast verbunden ist und die dessen stilles Siechtum nicht akzeptieren wollen.
Der Verein brachte wieder Leben in die Säle; im Foyer neben der Kassenluke hängen noch Plakate etwa für ein Friedenskonzert, eine Feier der örtlichen Schule oder zum Tag des offenen Denkmals, der 2018 immerhin 1600 Besucher anzog. Die Mitglieder leisteten aber auch tatkräftige Überlebenshilfe: mit Planen auf kaputten Dächern und Schüsseln, die in Foyer und Ballettsaal das bei Regen von den Decken tropfende Wasser auffingen. In Abstimmung mit dem Eigentümer veranlasste der Verein sogar Baumaßnahmen wie die 2018 erfolgte Erneuerung des Dachs im Südflügel, für das die Denkmalschutzbehörden des Landes Fördergeld bewilligt hatten.
An mangelnden Finanzen müssten auch weitere dringende Baumaßnahmen, allen voran am Dach des Nordflügels, nicht scheitern. »Das Thema Geld, das sonst oft das Hinderliche ist, ist abgeräumt«, sagt der Landrat. Das Land hat weitere Mittel zugesagt; auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wollte sich mit 10 000 Euro aus Lottomitteln beteiligen. Als ein Vertreter im Dezember den Scheck übergeben wollte, sei aber keiner da gewesen, der ihn entgegennahm, schrieb die »Ostthüringer Zeitung« (OTZ) und sprach von einer »Posse, die schon lange nicht mehr lustig ist«. Der fränkische Unternehmer als Eigentümer war zur Übergabe nicht erschienen; der Verein hatte von diesem bereits im März 2019 ein Hausverbot erteilt bekommen und darf sich seither nicht mehr kümmern – auch nicht, um Eimer voller Regenwasser zu leeren und die feuchten Räume ab und an zu lüften. Ob der Eigentümer das Geld vom Land in Anspruch nehme, sei offen, sagt Landrat Wolfram; in einer Frist bis Februar müsse er sich erklären, ob er das Dach sichert.
Die Lage ist vertrackt – und stellt eine akute Gefahr für ein Bauwerk dar, das weit mehr ist als ein Hort für nostalgische Gefühle und Erinnerungen seiner in die Jahre gekommenen einstigen Nutzer. Der Kulturpalast sei vielmehr eines der bemerkenswertesten Zeugnisse für ein eigenes Kapitel der Architektur- und Kunstgeschichte der DDR, schrieb die Grazer Architekturhistorikerin Simone Hain in einem Essay in der OTZ mit dem Titel »Ein Traumhaus aus der kollektiv gelebten Zeit«. Der Kulturpalast werde oft für seine Ausstattung gelobt: den akustisch perfekten Theatersaal mit 700 Plätzen; weitere Säle; verschiedene gastronomische und Bildungseinrichtungen. Es sei indes, schreibt Hain, nun »an der Zeit, die Gestaltungshöhe« des Baus zu unterstreichen, der maßgeblich von dem später auch in Berlin vielerorts tätigen Architekten Josef Kaiser entworfen wurde. Hain lobt die »atmosphärische Freundlichkeit« des Gebäudes, die stimmungsvolle Farbgebung und feinen Proportionen und spricht von einer »ästhetisch hoch befriedigenden Sonderedition der vornehmsten Bauaufgabe der DDR: Kultur, endlich auch für Arbeiter«. Sie spricht wegen der beispielgebenden Rolle für spätere ähnliche Bauten in der DDR auch von einem »Musterkulturhaus« und verteidigt den Palast gegen immer wieder artikulierte Anwürfe, ein stalinistischer Protzbau zu sein, der nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Geisteshaltung der Zeit transportiere. Nach Überzeugung Hains zitiere er eher »bürgerliche Parlaments- und Bildungsarchitektur Amerikas« wie das Capitol von Richmond.
Plädoyers wie dieses bestärken die Aktivisten in Unterwellenborn in der Überzeugung, dass der Kulturpalast ein »Bauwerk von nationaler Bedeutung« sei, wie Vereinschef Torsten Ströher formuliert. Sie lösen indes das Dilemma nicht, in dem die engagierten Bürger stecken: untätig zusehen zu müssen, wie – so schreibt Hain in ihrem Essay – der Besitzer »lieber den drohenden Einsturz des Daches in Kauf« nimmt, als sich von seinem »ohne Funktion wertlosen Besitz zum Einkaufspreis wieder zu trennen«.
Bemühungen, den Möbelhändler zur Trennung von dem Palast zu bringen, gab es. Lange sei über die Überführung in eine Stiftung verhandelt worden, sagt der Landrat; sogar eine fertige Satzung lag vor. Anfang 2019 scheiterten die Gespräche. »Die Preisvorstellungen haben nicht zu dem gepasst, was wirtschaftlich darstellbar ist«, sagt der Politiker. Im MDR hieß es kürzlich unter Verweis auf ein Telefonat mit dem Unternehmer, dieser wolle 5,5 Millionen Euro. Kenner halten das für völlig überzogen. Wegen der verfahrenen Lage und der akuten Gefährdung des Bauwerks wird mittlerweile daher auch über andere Instrumente geredet: eine Enteignung, wie sie Thüringer Behörden 2018 im Fall von Schloss Reinhardsbrunn, einem ebenfalls vernachlässigten Baudenkmal, vollzogen. Landrat Wolfram erklärt, die Behörden hätten derlei »staatliche Zwangsmaßnahmen im Blick«; er betont aber auch, das Verfahren sei sehr langwierig und bringe keine schnelle Rettung. Der Palasteigentümer wiederum reagiert offenbar äußerst empfindlich auf derlei Erwägungen; dem MDR sagte er, er sehe sich als »Opfer einer Kampagne«, deren Ziel es sei, ihn zu enteignen.
»Das tut unheimlich weh«
Es bleibt also schwierig. Vereinschef Ströher hofft, dass die Landespolitik helfen kann; Anfang Februar habe er einen Termin in der Staatskanzlei. Auf breiten Rückhalt kann er dabei verweisen: Prominente Musiker, Schauspieler und Autoren haben eine Petition unterzeichnet; und in der Region ist das Interesse groß. Das zeigten drei »Erzählsalons«, die der Verein kürzlich gemeinsam mit der Jenaer Germanistin Katrin Rohnstock ausrichtete. Ihr Unternehmen ist auf das professionelle Erfassen von Lebenserinnerungen spezialisiert. Zur dritten Runde, in der auch ein 230 Seiten starkes Nutzungskonzept für den Palast vorgestellt wurde, kamen rund 70 Interessierte. Sie amüsierten sich mit Kulturhausleiter Salzmann oder Ex-»Matador«-Bassistin Rudolf über Geschichten aus der guten Zeit des »Musterkulturhauses« – und nickten beifällig, als die Musikerin sagte: »Den Palast so zu sehen, wie er jetzt ist: Das tut unheimlich weh.«