Am 08. November fand um 18 Uhr der erste Erzählsalon des Vereins Kulturpalast Unterwellenborn e.V. rund um den Kulturpalast im Bürgerhaus "Schacht Luise", Goßwitz, Kamsdorfer Str. 38 statt. Katrin Rohnstock, „Erfinderin“ des Erzählsalons von Rohnstock Biografien Berlin moderierte persönlich. Das Prinzip des Erzählsalons ist recht einfach, erklärte sie den ca. 40 Zuhörern am Beginn. Zeitzeugen erzählen ihre ganz persönlichen Erlebnisse, so, wie sie sie in Erinnerung haben. Dabei werden sie nicht unterbrochen, es wird nicht gewertet. Am Ende der Erzählrunde darf das Publikum gerne ergänzen oder nachfragen.
Die sechs Zeitzeugen, die sich an diesem Abend der Aufgabe gestellt hatten, standen in ganz unterschiedlicher Beziehung zum Kulturpalast. Die jüngeren unter ihnen waren Jugendklubstammgäste, andere waren Stahlwerker der Maxhütte. Der letzte ehemalige Kulturhausleiter war auch unter den Erzählern.
Jürgen Wenig schwärmte von der Bitterfelder Lieblingsband, die regelmäßig den Jugendclub rockte. Er erzählte, wie er vor die SED-Kreisleitung zitiert wurde, denen zu Ohren gekommen war, dass die Jugendlichen zur Bitterfelder Beatmusik auf allen Vieren tanzten und wohl das Verhältnis zwischen Ost- und Westrock nicht den Vorschriften entsprach. Aber er erinnerte auch, wie er und viele andere Jugendliche in nur einem Monat in über 1.200 freiwilligen Arbeitsstunden mit Schippe und Spaten die Freilichtbühne aufbauten. Ein Schmunzeln ging durch die Reihen, als er leise gestand, wie er als 17jähriger beim Tanztee einem hübschen Mädchen gegenüber saß. Sie trat ihm ständig unter dem Tisch gegen die Beine. Wahrscheinlich wollte sie bewirken, dass er sie zum Tanzen aufforderte. Den Tanzkurs hatte er aber erst vor sich. Mit hochrotem Kopf zog er es vor, sich still und heimlich zu verkrümeln.
Die Zuhörer konnten erfahren, wie bei der Kampagne „Max braucht Kunst“ Stahlwerker im Kulturhaus die Begegnung mit der Malerei und den dazugehörigen Künstlern suchten, wie eng sich die Beziehungen zu den Künstlern gestalteten, hörten von vollen Theatersälen auch bei äußerst anspruchsvollen Vorführungen. Sie erfuhren vom ehemaligen Kulturhausleiter, warum Silvester 1978/79 bei voller Stromversorgung in allen Sälen weiter gefeiert werden konnte, während wegen des extremen Wintereinbruchs anderswo gar nichts mehr ging; Wie es gelang, fünf Tanzmusikformationen für die Silvesterfeier zu bekommen, obwohl der Kulturhausleiter eigentlich nur das an Gage auszahlen durfte, was für die jeweiligen Bands durch des Kulturministerium gelistet war.
Mit großer Zurückhaltung und ebenso großem Geschick fragte Katrin Rohnstock nach, wenn deutlich wurde, dass für Außenstehende Zusammenhänge nicht ganz deutlich wurden oder ein Erzähler steckenblieb. Munter ergänzten sich die Erzähler auch untereinander oder verweisen auf anwesende Zuhörer, die gelegentlich in ihren Erzählungen vorkamen.
Die ehemaligen Stahlwerker unter den Erzählern berichteten begeistert davon, dass für die Nachtschichtkollegen vom Jahreswechsel Ende Januar eine Extra-Silvesterfeier organisiert wurde.
Der letzte Erzähler hatte es besonders schwer. Er hatte viele Erlebnisse seiner Vorredner geteilt. Seine Erinnerungen beim Zuhören hatten ihn ganz offensichtlich schon emotional berührt. Er entschuldigte sich im Voraus, dass er vielleicht das eine oder andere Erlebnis wiederholen könnte. In seinem Ringen nach etwas noch nicht erzähltem begann er von den unendlich vielen Bussen zu berichten, die in Schlang standen, um die Veranstaltungsbesucher nach Hause zu bringen. Und dann blieben ihm die Worte weg. Es wurde feucht um seine Augen. Das Fallen einer Stecknadel hätte in diesem Moment die Zuschauer erschreckt. Ein berührender Abend, ein Abend wie im Theater.
Noch viele Minuten nach dem offiziellen Ende des Erzählsalons war der Raum gefüllt. Ganz offensichtlich hat das Erzählen auch das Publikum angesteckt. Wer nicht dabei war kann sich den dazugehörigen Film auf www.kulturpalast-unterwellenborn.de anschauen. Der nächste Erzählsalon findet am 28.11. 18 Uhr an gleicher Stelle statt. Da geht es um die Ausstrahlung des Kulturpalastes auf die Region. Zu den Zeitzeugen, die dann berichten, gehört unter anderen Michael Goschütz.