Strahlender Sonnenschein hat das Pflaster vor dem Kulturpalast Unterwellenborn schon kräftig erhitzt. Die Kühle, die den Besucher umschweift, wenn eer das Gebäude betritt, ist da schon sehr angenehm. Knapp 20 Neugierige haben sich im Cafe eingefunden, bestens versorgt mit Getränken von den nervösen Mitgliedern des Vereins. Nervös? Es ist bereits 17.50 Uhr und von Frau Kirschstein ist weit und breit nichts zu sehen. Sollte so die erste Veranstaltung der Kulturenthusiasten des Vereins in diesem Jahr beginnen?
Dann rollt das Auto an. Punkt 6 sitzt Johanna Kirchstein am Podiumstisch, im Gepäck eien großen Stapel Bücher und beginnt zu erzählen – über sich und wie sie vor über 50 Jahren zum Schreiben kam. Im Zirkel „Schreibende Arbeiter“ der Maxhütte stellte sie den Zirkelmitgliedern eine Tiergeschichte vor. Die wiederum schickten die Geschichte ohne Wissen der Autorin zum Kinderbuchverlag nach Berlin. Kurz darauf wurde Johanna Kirschstein dorthin eingeladen. Die Geschichte sei toll, aber Tiergeschichten gäbe es bereits genug, meinten die Lektoren, ob sie nicht was modernes über Pioniere oder so schreiben könnte.
Johanna Kirschstein reiste ab. Für den Kinderbuchverlag hat sie nichts geschrieben. Nach der Wende dann der erneute Kontakt zu Verlagen. Das Interesse war da, aber redaktionelle Eingriffe durch Lektoren, das Vorschreiben eines anderen Buchformates, gar das Weglassen von Anhängen – den inzwischen berühmten Ausmalvorlagen in ihren Büchern – wollte sie nicht zulassen. Und dann sollten die Bücher viel teurer werden, als es ihren Vorstellungen entsprach.
Frau Kirschstein startete als Eigenverleger, ließ ihre Bücher auf eigene Kosten drucken und vertrieb sie selbst. Schnell stellte sich der Erfolg ein, der ihr Recht gab.
Johanna Kirschstein gab ihren Job als Sozialdezernentin auf und schrieb. Die meisten Anregungen bekam sie durch ihre Leser, Kinder und Pädagogen. Fast kann man sagen, jedes neue Buch war ein „Auftragswerk“. „Das Schwierigste ist es, nach der Recherche aus der riesigen Fülle an Material so auszuwählen, dass am Ende ein Kinderbuch bleibt, das trotzdem alles Wichtige zum Thema enthält.“, berichtet Frau Kirschstein.
Inzwischen liegen an die 20 Bücher vor, manche sind offizielle Lehrempfehlungen von Bildungsministerien, andere werden gerade ins japanische übersetzt. Ihrem Stil ist sie treu geblieben, lehrreich, zum Nachdenken anregend, immer toll illustriert und am Ende Ausmalvorlagen, die – während ihre Leser sie nutzen - das erworbene Wissen festigen.
Johanna Kirschstein, eine faszinierende Kinderbuchautorin, die für das Schreiben lebt. Gerne hätte sie mehr Zuhörer zu dieser Lesung begrüßt. Aber es muss sich wohl erst herumsprechen, dass im altehrwürdigem Kulturpalast wieder etwas passiert.
Steffen Palm